Als Schülerin der 6.-7. Klasse habe ich einen Nähkurs besucht. Ich wohnte zu der Zeit noch in meinem Heimatland. Im Kurs ging es um Kleidernähen nach selbst erstellten Schnittmustern. Die Reihenfolge ist jeder Frau, die in einer russischen Schule war, bekannt: Küchenschürze, Nachthemd, Rock, Hose/Oberteil usw. Jedes von mir erstellte Kleidungsstück, egal wie hässlich es war, habe ich fleissig im Alltag getragen.
Viele Jahre sind vergangen und als ich letztes Jahr wieder ein Schnittmuster selbst erstellen wollte, verstand ich, dass ich alles vergessen hatte. Das ist nicht unbedingt bedauerlich, sondern eher erfreulich, weil ich mir so eine neue Schnittkonstruktionsmethode beibringen konnte.
Ich habe mittlerweile rund 100 Schnittmustermagazine und meine Kollektion wächst ständig. Außerdem ist das Internet voll von neuen Anleitungen, die mit einem Klick gekauft werden können. Warum ein SM selbst zeichnen? Zeit, Materialkosten, Fehleranfälligkeit…
Bisher, wenn ich ein Kleid aus einem nichtdehnbaren Stoff nähen wollte, habe ich immer ein Probemodell aus Nessel genäht. Für mich war es zu viel Risiko einfach so den schöneren Stoff loszuschneiden, auch wenn ich grob die Maße verglichen habe. Immer wieder stand bei mir oben der Hals- oder Armausschnitt ab, die Seitennähte verliefen nicht gerade oder der Rücken hang wie ein Sack. Das vordere Oberteil war auch häufig, aber nicht immer, zu kurz. Auf dem Nesselmodell konnte ich dann die Fehler abstecken und ins Schnittmuster grob übertragen.
Eines Tages hatte ich genug von Schnittmusteranpassung, zudem ich mich immer wieder halbblind gefühlt habe, weil ich nicht verstanden habe, was die Ursache war. Auf dem Blog von Jenny exclamation-point.de habe ich gelesen, dass Burdaschnitte nicht immer auf die gleiche Art und Weise korrigiert werden können. Die gleiche Erfahrung habe ich auch gemacht. Ich wollte einen Schnitt vom Kleid erstellen, das “wie angegossen” sitzt. Ich dachte, dass es mir die Möglichkeit gibt, Burdaschnitte schneller anzupassen oder die Modelle selber herzustellen. Teilweise habe ich mich nicht geirrt. Aber nur teilweise.
Schnittentwicklung
Ich bin schon ein bisschen perfektionistisch, was ich mittlerweile als Nachteil betrachte. Es gibt verschiedene Methoden, einen Schnitt vom Kleid zu entwickeln, und ich wusste schon im Voraus, dass die einfachste meinen Anforderungen nicht genügen wird. Je einfacher die Methode, desto mehr setzt sie voraus, dass deine Figur der Konfektionsfigur ähnelt. Die Fehler, die anhand so genannter Festmaße entstehen, werden dann später während der Anprobe korrigiert. Ich habe mit so einer Methode für Hosenkonstruktion ziemlich schlechte Erfahrung gemacht.
Also habe ich mich für eine Methode entschieden, die keine Festmaße nutzt. Es wird alles am Körper gemessen und jede Körpereigenschaft berücksichtigt. Dafür muss man aber ca. 30 Maße nehmen. Einfach ist anders. Vor allem kann man eigene Maße sehr schlecht selbst nehmen…
Nachdem ich meinen Freund anhand Internetvideos zum Maßnehmer ausgebildet habe und er meine Maße sehr sorgfältig genommen hat, habe ich mein erstes Kleid konstruiert und ein Probemodell aus Nessel genäht.
Wie ihr sehen könnt, sah es… hm… nicht so wirklich toll aus. Ich habe mich hilfesuchend an die Mädels in diesem Forum (Russisch) gewandt. Sie haben mir sehr geholfen, zu verstehen, was ich falsch gemacht habe. Ich musste mit großem inneren Widerstand erkennen, dass meine Figur doch weit weg von der Konfektion ist. Die Schultern sind nämlich nach vorne gedreht, wie man auf dem folgenden Bild sieht.
Dadurch, dass Kleider auf den Schultern balancieren - im Gegensatz zu Röcken und Hosen, die auf der Taille sitzen - ist der Schulterbereich für so einen Schnitt sehr wichtig. Ich habe am Probemodell gezeichnet, gerechnet, die Maße entsprechend angepasst und ein neues Probemodell genäht. Insgesamt habe ich 3 Probekleider nähen müssen, um zur, meiner Meinung nach, perfekten Passform zu kommen. So sah das letzte Probemodell aus einem alten Bettlacken aus:
Ich sehe einen deutlichen Unterschied, und ihr?
Da die Abnäher vorne und hinten bei mir ziemlich tief sind, musste ich sie teilen. So habe ich jeweils 2 Abnäher und 2 Teilungsnähte vorne und hinten. Ich habe für mich eine Zeichnung des Kleidmodells gemacht:
Das Etuikleid
Ich wollte das erste Kleid nach dem selbsterstellten Schnittmuster sehr einfach halten. Ein schnell genähtes Etuikleid, ohne Futter und Schnickschnack.
Für so ein Sommeretuikleid habe ich mich für Baumwollsatin mit Elastan entschieden. Über die Jahre habe ich einige Stoffstücke in solcher Qualität zuhause gesammelt und nie verarbeitet. Alle haben ziemlich große Muster und sind schön bunt.
Obwohl ich schon so viel Übung mit den Probekleidern hatte, habe ich doch ein paar Fehler gemacht. Ein Fehler tut mir besonders leid: ich habe das große schöne Muster nicht angepasst. Weil so ein Etuikleid doch ein paar senkrechte Schnittlinien hat, sieht das vorne nicht so toll aus. Aufgefallen ist es mir schon während der Anprobe, doch habe ich entschieden, das Kleid fertig zu machen und zu tragen. Dieser Fehler passiert mir nicht zweimal :)
Den Ausschnitt und die Armlöcher habe ich mit einem Beleg bearbeitet. Auch hier ist nicht alles ideal gelaufen und wird vielleicht beim nächsten Mal besser. Der Stoff ist gar nicht durchsichtig, deswegen habe ich das Kleid ohne Futter gemacht. Für den Sommer ist jede zusätzliche Schicht Stoff unerwünscht.
Wie jedes Etuikleid ist auch dieses ziemlich schlicht. Das Blumenmuster macht es aber fröhlich und sommerlich. Da es nicht so verspielt ist, wie das Carmenkleid aus dem letzten Post, eignet es sich perfekt fürs Büro.
Ich freue mich schon nach dem selbsterstellten Basischnitt viele weitere Kleider zu kreieren. Eins ist schon in der Mache. Viertel vor fertig, sozusagen :)
Schnitt: selbst erstellt
Stoff: Baumwollsatin 97%BW 3%EL aus dem lokalen Stoffladen
Fotos: meine
Heute ist wieder ein Mittwoch und hier könnt ihr die andere Kreationen des heutigen MeMadeMittwochs bewundern.