Mittwoch, 28. Juni 2017

Kleiderschnitt entwickeln: ein Etuikleid

Als Schülerin der 6.-7. Klasse habe ich einen Nähkurs besucht. Ich wohnte zu der Zeit noch in meinem Heimatland. Im Kurs ging es um Kleidernähen nach selbst erstellten Schnittmustern. Die Reihenfolge ist jeder Frau, die in einer russischen Schule war, bekannt: Küchenschürze, Nachthemd, Rock, Hose/Oberteil usw. Jedes von mir erstellte Kleidungsstück, egal wie hässlich es war, habe ich fleissig im Alltag getragen.

Viele Jahre sind vergangen und als ich letztes Jahr wieder ein Schnittmuster selbst erstellen wollte, verstand ich, dass ich alles vergessen hatte. Das ist nicht unbedingt bedauerlich, sondern eher erfreulich, weil ich mir so eine neue Schnittkonstruktionsmethode beibringen konnte.

Motivation

Ich habe mittlerweile rund 100 Schnittmustermagazine und meine Kollektion wächst ständig. Außerdem ist das Internet voll von neuen Anleitungen, die mit einem Klick gekauft werden können. Warum ein SM selbst zeichnen? Zeit, Materialkosten, Fehleranfälligkeit…

Bisher, wenn ich ein Kleid aus einem nichtdehnbaren Stoff nähen wollte, habe ich immer ein Probemodell aus Nessel genäht. Für mich war es zu viel Risiko einfach so den schöneren Stoff loszuschneiden, auch wenn ich grob die Maße verglichen habe. Immer wieder stand bei mir oben der Hals- oder Armausschnitt ab, die Seitennähte verliefen nicht gerade oder der Rücken hang wie ein Sack. Das vordere Oberteil war auch häufig, aber nicht immer, zu kurz. Auf dem Nesselmodell konnte ich dann die Fehler abstecken und ins Schnittmuster grob übertragen.

Eines Tages hatte ich genug von Schnittmusteranpassung, zudem ich mich immer wieder halbblind gefühlt habe, weil ich nicht verstanden habe, was die Ursache war. Auf dem Blog von Jenny exclamation-point.de habe ich gelesen, dass Burdaschnitte nicht immer auf die gleiche Art und Weise korrigiert werden können. Die gleiche Erfahrung habe ich auch gemacht. Ich wollte einen Schnitt vom Kleid erstellen, das “wie angegossen” sitzt. Ich dachte, dass es mir die Möglichkeit gibt, Burdaschnitte schneller anzupassen oder die Modelle selber herzustellen. Teilweise habe ich mich nicht geirrt. Aber nur teilweise.

Schnittentwicklung

Ich bin schon ein bisschen perfektionistisch, was ich mittlerweile als Nachteil betrachte. Es gibt verschiedene Methoden, einen Schnitt vom Kleid zu entwickeln, und ich wusste schon im Voraus, dass die einfachste meinen Anforderungen nicht genügen wird. Je einfacher die Methode, desto mehr setzt sie voraus, dass deine Figur der Konfektionsfigur ähnelt. Die Fehler, die anhand so genannter Festmaße entstehen, werden dann später während der Anprobe korrigiert. Ich habe mit so einer Methode für Hosenkonstruktion ziemlich schlechte Erfahrung gemacht.

Also habe ich mich für eine Methode entschieden, die keine Festmaße nutzt. Es wird alles am Körper gemessen und jede Körpereigenschaft berücksichtigt. Dafür muss man aber ca. 30 Maße nehmen. Einfach ist anders. Vor allem kann man eigene Maße sehr schlecht selbst nehmen…

Nachdem ich meinen Freund anhand Internetvideos zum Maßnehmer ausgebildet habe und er meine Maße sehr sorgfältig genommen hat, habe ich mein erstes Kleid konstruiert und ein Probemodell aus Nessel genäht.
Wie ihr sehen könnt, sah es… hm… nicht so wirklich toll aus. Ich habe mich hilfesuchend an die Mädels in diesem Forum (Russisch) gewandt. Sie haben mir sehr geholfen, zu verstehen, was ich falsch gemacht habe. Ich musste mit großem inneren Widerstand erkennen, dass meine Figur doch weit weg von der Konfektion ist. Die Schultern sind nämlich nach vorne gedreht, wie man auf dem folgenden Bild sieht.
Dadurch, dass Kleider auf den Schultern balancieren - im Gegensatz zu Röcken und Hosen, die auf der Taille sitzen - ist der Schulterbereich für so einen Schnitt sehr wichtig. Ich habe am Probemodell gezeichnet, gerechnet, die Maße entsprechend angepasst und ein neues Probemodell genäht. Insgesamt habe ich 3 Probekleider nähen müssen, um zur, meiner Meinung nach, perfekten Passform zu kommen. So sah das letzte Probemodell aus einem alten Bettlacken aus:
Ich sehe einen deutlichen Unterschied, und ihr?

Da die Abnäher vorne und hinten bei mir ziemlich tief sind, musste ich sie teilen. So habe ich jeweils 2 Abnäher und 2 Teilungsnähte vorne und hinten. Ich habe für mich eine Zeichnung des Kleidmodells gemacht:
Das Etuikleid

Ich wollte das erste Kleid nach dem selbsterstellten Schnittmuster sehr einfach halten. Ein schnell genähtes Etuikleid, ohne Futter und Schnickschnack.

Für so ein Sommeretuikleid habe ich mich für Baumwollsatin mit Elastan entschieden. Über die Jahre habe ich einige Stoffstücke in solcher Qualität zuhause gesammelt und nie verarbeitet. Alle haben ziemlich große Muster und sind schön bunt.
Obwohl ich schon so viel Übung mit den Probekleidern hatte, habe ich doch ein paar Fehler gemacht. Ein Fehler tut mir besonders leid: ich habe das große schöne Muster nicht angepasst. Weil so ein Etuikleid doch ein paar senkrechte Schnittlinien hat, sieht das vorne nicht so toll aus. Aufgefallen ist es mir schon während der Anprobe, doch habe ich entschieden, das Kleid fertig zu machen und zu tragen. Dieser Fehler passiert mir nicht zweimal :)
Den Ausschnitt und die Armlöcher habe ich mit einem Beleg bearbeitet. Auch hier ist nicht alles ideal gelaufen und wird vielleicht beim nächsten Mal besser. Der Stoff ist gar nicht durchsichtig, deswegen habe ich das Kleid ohne Futter gemacht. Für den Sommer ist jede zusätzliche Schicht Stoff unerwünscht.
Wie jedes Etuikleid ist auch dieses ziemlich schlicht. Das Blumenmuster macht es aber fröhlich und sommerlich. Da es nicht so verspielt ist, wie das Carmenkleid aus dem letzten Post, eignet es sich perfekt fürs Büro.
Ich freue mich schon nach dem selbsterstellten Basischnitt viele weitere Kleider zu kreieren. Eins ist schon in der Mache. Viertel vor fertig, sozusagen :)

Schnitt: selbst erstellt
Stoff: Baumwollsatin 97%BW 3%EL aus dem lokalen Stoffladen
Fotos: meine

Heute ist wieder ein Mittwoch und hier könnt ihr die andere Kreationen des heutigen MeMadeMittwochs bewundern.

18 Kommentare:

  1. Hallo Natallia,
    das Kleid sitzt wie angegossen und steht Dir sehr gut. Die viele Arbeit hat sich gelohnt. Danke für den Einblick in die Entstehungsgeschichte + liebe Grüße
    Katrin

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    1. Danke, Karin. Diese Arbeit hat auch viel Spass gemacht. Ich konnte mich mit Kleiderkonstruktion auseinandersetzen, ich habe einige Sachen verstanden, die mir in meiner Nähzukunft bestimmt helfen werden :) Ich plane noch mehrere Kleider aus dem Schnitt zu entwickeln.

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  2. Sieht toll aus. Ein Zauberhafter Stoff, steht dir ausgzeichnet.
    Wenn es nur nicht so aufwendig wäre, einen Schnitt nach seinen eigenen Vorstellungen zu erstellen, würde ich ja selber öfter einen Schnitt zeichnen.
    Nach welchen System hast du denn den Schnitt gezeichnet?
    lg Sabine

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    1. Hallo Sabine, danke für dein Kommentar und Kompliment zu meinem Kleid. Das System, was ich benutzt habe, ist in Russland sehr bekannt und wurde von Galiya Zlachevskaya entwickelt. Hier der russischer Link: http://www.galiya.ru. Das System ist fürs individuelle Schneidern entwickelt: alle Besonderheiten einer Figur werden berücksichtigt. Ich habe einige Bücher von der Frau zuhause und es gibt sehr viel Info im Netz. Leider alles nur auf Russisch, deswegen habe ich es in dem Post auch nicht groß erwähnt.
      Fürs Schnittzeichnen gibt es Software. Leider sehr teuer für jemand, der nur für sich näht...

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  3. Super gelungen! Die Passform ist klasse. Ich mache ja auch alles selbst und denke, dass es sich lohnt. Eine Winzigkeit, die ich bei diesem Kleid anders gemacht hätte, wäre vielleicht die vorderen Seitenteile schmaler zu gestalten. Aber diese Grundlage läßt viele schöne Kleider erwarten! Regina

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    1. Liebe Regina, vielen Dank für dein Kommentar! Die senkrechte Nähte im Vor- und Rückteil machen das Modell sehr "zerschnitten", das ist mir auch schon aufgefallen. Dazu habe ich auch so einen Stoff mit großem Muster benutzt. Ich werde weiter experimentieren und an meinen Modellentwicklungsfähigkeiten arbeiten :)

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  4. Sehr hübsch. Schön, dass du so ausführlich den Weg dahin beschrieben hast.
    Viele Grüße,
    Melanie

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    1. Ich hoffe, das war nicht zu viel Information für den Anfang :) Es war doch ein langer Weg. Ich glaube, 4-6 Wochen sind vom ersten gezeichneten Schnitt bis zum fertigen Kleid vergangen.

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  5. wow, ein wundervolles Kleid und zauberhafte Fotos. Großes Lob an den Fotografen. Ich bewundere alle, die selber Schnitte konstruieren, das ist wirklich ein langwieriger Prozess - darauf mag ich mich nicht einlassen. Umso größer mein Respekt für alle, die dies leisten und so tolle Ergebnisse damit erzielen. LG Kuestensocke

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    1. Danke, es freut uns, dass die Fotos so gut ankommen, wir geben uns Mühe, obwohl das Modeln und Fotografieren ein ziemliches Neuland für uns beide ist...

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  6. Ein wunderschönes Kleid! Es sitzt perfekt und mir gefällt die schlichte Etuikleidform mit dem leichten U-Boot-Ausschnitt total gut. Schnitte selber konstruieren ist schon eine tolle Sache, das mache ich leider viel zu selten, weil mich immer irgendein Schnittmuster aus einer der vielen Zeitschirften davon ablenkt..

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    1. Ich werde hier auch bestimmt noch einige nachgenähte Zeitschriftmodelle zeigen. Da bin ich ganz deiner Meinung, dass sie interessant und vielfältig sind. Vielleicht, das neu gewonnene Wissen über die Passform wird mir helfen, die Schnitte besser anzupassen. Gerade dieser U-Boot-Ausschnitt war für mich immer schwierig: die Kleider lagen oben nie so gut an, egal, was ich gemacht habe. Jetzt habe ich eine "Schablone", die ich mit dem fertigen Schnitt vergleichen kann. So ist der Plan, in der Theorie :)

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  7. Die viele Arbeit und Mühen, die du in die Schnitterstellung und Anpassung gesteckt hast, haben sich auf jeden Fall gelohnt.
    Dein Kleid ist wunderschön geworden! :-)
    Wenn frau einmal einen passenden Schnitt hat, können viele Kleider folgen. Und ich finde Etuikleider gehen immer! (mir fehlt leider dazu noch mein Schnitt...)
    Lieben Gruß
    Eja

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    1. Danke, Eja. Ich finde auch, dass die Etuikleider immer gehen. Sie sind sehr feminin und irgendwie... erwachsen. Falls du keinen passenden Schnitt hast, weißt du aber, dass du immer ins machen kannst .:)

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  8. Schönes Kleid und super Passform! Das Problem mit dem Armloch kenne ich auch, sieht bei mir auch ähnlich aus. Wie hast du das gelöst? Ich bastle gerade an einem individuellen Basisschnitt und wäre für einpaar Tipps sehr dankbar. LG Elena

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  9. Das Problem mit dem Armloch, oder besser gesagt mit dem Ausschnitt, kommt bei mir von den nach vorne gedrehten Schultern bei relativ geradem Rücken. Es lohnt sich 2 zusätzliche Maße zu nehmen: auf beiden Schultern die Punkte markieren, wo die Schulternaht endet (also, wo die Schulternaht auf den Ärmel trifft). Dann die Distanz zwischen den beiden Punkten vorne und hinten zu messen und die Breite des Ausschnitts vorne und hinten entsprechend korrigieren. Bei mir musste noch die Schulternaht korrigiert werden, sie hat vorne viel stärkere Neigung als hinten. Das habe ich anhand zwei anderen Maße gemacht: von dem Brustpunkt zum Schulter-Halspunkt und von dem Brustpunkt zum Schulter-Ärmelpunkt.

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  10. Hallo,
    ein toller Blog und ein sehr schönes Kleid!
    LG
    Steffi
    Abendkleider

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